Winzer oder Spediteur – Selbstauslieferung am Scheideweg?

Vortrag von Mathias Gutzler, DLR Rheinhessen-Nahe-Hunsrück,
anlässlich der 57. Kreuznacher Wintertagung 2013

Das Weinangebot außerhalb der Weinanbaugebiete wird vorwiegend von Discountern, Lebensmittel- einzelhändlern oder Weinfachhändlern bestimmt. Der Weineinkauf beim Winzer ist daher, bedingt durch die Entfernung zwischen dem Wohnort des Kunden und den Weingütern in den Anbaugebieten, mit einem hohen Aufwand verbunden. Um Kunden außerhalb der Wein- baugebiete zu beliefern, haben viele Winzer die Selbstauslieferung mit dem eigenen Fahrzeug als Serviceleistung eingeführt. Der persönliche Kontakt und die Kommunikation rund um den Auslieferungsprozess machen die Selbstauslieferung zu einem wichtigen Instrument in Sachen Kundenpflege/-betreuung. Durch die Gespräche mit den Kunden können eine persönliche Bindung aufgebaut und wichtige Informationen über sie gewonnen werden. Die regelmäßige Analyse dieser Informationen und eine darauf basierende strategische Zukunftsplanung ermöglichen eine Steigerung der Kundenzufriedenheit und damit auch eine Verbesserung des Betriebserfolges. Dennoch lässt sich beobachten, dass viele Betriebe nach Alternativen zur Selbstauslieferung suchen. Gründe hierfür sind der hohe Zeitaufwand, ständig steigende Kosten und das große Risiko auf den Straßen. Außerdem haben Zielgruppen-Studien in den letzten Jahren gezeigt, dass sich Lebensstil und Einkaufsverhalten der Weintrinker verändert haben und dass auch zukünftig weitere Veränderungen zu erwarten sind.

Zweifelsfrei bleibt das Endverbrauchergeschäft auch in Zukunft sehr lukrativ und es bietet ein großes Potential. Die Winzer suchen deshalb in einem wachsenden Spannungsfeld zwischen Kundenbindung und Effektivität nach attraktiven Alternativen und Instrumenten, die eine persönliche Kundenpflege gewährleisten, aber gleichzeitig zeitsparend und kostengünstig sind.


Welche Vorteile bringen die Alternativen für den Winzer?

Die Entscheidung für einen Übergang von der Selbstauslieferung zum Speditions- oder Paketversand lässt sich aus betriebs- und arbeitswirtschaftlichen Gesichtspunkten plausibel begründen. Die Analyse eines Weinguts im Jahr 2011 hat gezeigt, dass bei einer Auslieferungsmenge von knapp 50.000 Flaschen/Jahr durch die Umstellung auf Speditions- und Paketversand knapp 800 Arbeitskraftstunden eingespart werden können. Bei den Auslieferungsfahrten waren vorwiegend die Betriebsleiter selbst unterwegs. Das heißt, diese Zeit könnte nach der Umstellung effektiver genutzt werden. Eine Kostenanalyse ergab, dass die Selbstauslieferung ca. doppelt so teuer ist wie der Speditions- oder Paketversand1) .

1) Im Speditions- und Paketversand wurden alle fixen und variablen Kosten einschließlich einer angemessenen Entlohnung der Familienarbeitskräfte berücksichtigt. Außerdem ist die Verpackung in PTZ-Kartons beim Paketversand eingerechnet.

Bei einer geplanten Umstellung empfiehlt es sich, zunächst zu analysieren, wie hoch die Anzahl der Bestellvorgänge und deren jeweilige Bestellmenge ist. Mit diesen Daten können relativ genaue Aussagen zu den zukünftigen Versandkosten getroffen werden. Außerdem ist dadurch ein Angebotsvergleich verschiedener Logistikdienstleister möglich. Bei der Auswahl der Logistikdienstleister sollten allerdings nicht nur die Kosten, sondern auch die Leistungen verglichen werden. Wichtige Punkte hierbei sind beispielsweise der Umgang mit Bruchschäden oder die Abwicklung von Abholung und Auslieferung. Erfahrungswerte von Berufskollegen können hier nützliche Informationen liefern.


Vorteile für den Kunden

Versetzt man sich in die Rolle des Kunden, sprechen ebenfalls einige Argumente für den Speditions- und Paketversand. Mit Blick in die Zukunft zeigen sogenannte Megatrends, dass sich die Lebenswelt und das Verhalten der Verbraucher weiter verändern. Hier heißt es, in Zukunft genau hinzuschauen. Auslieferungsfahrten, bei denen die Kunden ihren Winzer noch mit Kaffee und Kuchen empfangen, werden künftig eher Ausnahmeerscheinungen sein. Die Menschen verbringen in dieser schnelllebigen Welt immer weniger Zeit zuhause und wollen ihre kostbare Zeit nicht damit verbringen, auf den Winzer mit seiner Weinlieferung zu warten. Dies schafft sogar eher Unannehmlichkeiten, da sie sich von Beruf oder Freizeit freimachen müssen. Das Argument des persönlichen Kundenkontakts ist auch nur dann gerechtfertigt, wenn es tatsächlich zu Gesprächen mit den Kunden kommt. Aufgrund des Zeitdrucks bei den Auslieferungsfahrten, so berichten viele Winzer, bleibt immer weniger Zeit für persönliche Gespräche. Manche Lieferungen werden sogar einfach in der Garage abgestellt oder beim Nachbarn abgegeben. In diesem Fall sollte man die Auslieferung Logistikunternehmen überlassen. Diese passen ihre Dienstleistungen ständig an die Anforderungen der Kunden an und arbeiten an einer zeitgemäßen Abwicklung der Zustellung. Diese Art der Zustellung ist für einen Winzer aufgrund des hohen Aufwands oder der Komplexität der Organisation kaum realisierbar. Hinzu kommt, dass der Versand deutlich umweltschonender ist. Dieses Argument wird in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen.

Eine generell zu beobachtende Erscheinung ist der Verlust der Kundentreue. Die Menschen möchten Weine entdecken und kaufen deshalb kleinere Mengen von verschiedenen Winzern. Dies erschwert die Organisation der Selbstauslieferung zusätzlich.


Künftiger Umgang mit den Versandkosten

Die meisten Weingüter, die ihre Weine selbst ausliefern, bieten die Selbstauslieferung als kostenfreien Service an. Dabei bleiben die Entlohnung der eigenen Arbeit und das eigene Fahrzeug als Kostenfaktor in der Kalkulation meist unberücksichtigt. Es wird vergessen, dass der größte Anteil der Auslieferungskosten auf die Entlohnung der Familienarbeitskräfte entfällt. Deshalb muss für eine angemessene Entlohnung ein entsprechender Gewinn erzielt werden. Bei niedrigen Preisen und kostenfreier Auslieferung besteht die Gefahr, dass dies nicht möglich ist. Eine korrekte Ermittlung der Preisuntergrenze ist daher umso wichtiger.

Mit dem Übergang zum Speditions- oder Paketversand werden von den Weingütern meist Versandpauschalen eingeführt. Im Gegensatz zu der Selbstauslieferung sollen die entstehenden Kosten gegenüber den Logistikdienstleistern möglichst von den Kunden getragen werden. Obwohl die Kosten der Selbstauslieferung deutlich höher sind, möchten die Winzer die durch den Übergang entstehenden Ausgaben nicht selbst tragen. Das hat zur Folge, dass die Kunden mehr für ihren Wein bezahlen müssen. Um eine größere Verärgerung der Stammkunden zu vermeiden, bedarf es vor der Einführung der Versandpauschale einer plausiblen Erklärung der Situation. Dabei sollten die Vorteile, die der Kunde durch die Veränderung hat, herausgestellt werden. Eine Umstellung bietet den Kunden beispielsweise die Möglichkeit, kontinuierlich über das ganze Jahr hinweg Wein zu bestellen. Sie sind nicht mehr an die Auslieferungszeiten des Weinguts gebunden. Außerdem bleibt dem Winzer mehr Zeit, sich um wichtige Arbeiten im Weinberg, im Keller oder in der Vermarktung zu kümmern und dadurch die Qualität der Weine und des Weinguts zu verbessern.

Punkten kann man auch, wenn ein bestimmter Service im Rahmen des Versands angeboten wird. So sollte den Kunden Gehör für Beschwerden oder Reklamationen verschafft werden. Dies kann zum Beispiel über ein beigefügtes Formular im Versandkarton erfolgen. Zusätzlich können Imagebroschüren, Veranstaltungskalender, Flyer u. ä. zur Information der Kunden mitverschickt werden. Auch persönliche Gespräche am Telefon könnten als „Kunden-bindende-Maßnahme“ eingesetzt werden. Wichtig hierbei ist ein sachgemäßer Umgang mit personenbezogenen Daten zu Werbezwecken.

Einige Kunden werden die Umstellung auf Versand nicht akzeptieren und trotz aller Bemühungen abwandern. Allerdings sollte es Zielsetzung sein, die Anzahl der Abwanderer möglichst klein zu halten. Die Maßnahmen im Marketing-Mix (also dem Zusammenspiel aus Preis-, Produkt-, Distributions- und Kommunikationspolitik) sollten zukünftig darauf ausgelegt sein, den Verlust an Bestandskunden mit der Gewinnung neuer Kunden auszugleichen und zusätzlich die Pflege und Betreuung der Stammkundschaft zu garantieren.

Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, sollte ein Marketing-Mix kreiert werden, der über möglichst viele Kanäle hinweg eine einheitliche Identität des Weinguts vermittelt. Der Markenaufbau kann hierbei die Grundlage für alle weiteren Aktivitäten bilden. Um die Marke bekannt zu machen, könnten beispielsweise innovative Events in den Verbraucherregionen eingesetzt werden. Außerdem bieten Vermarktungskooperationen eine Vielzahl an Möglichkeiten. Das Miteinander weckt bei den Kunden großes Interesse. Wichtig ist, dass der Winzer bzw. das Weingut in den Verbraucherregionen Präsenz zeigt. Dazu ist es sinnvoll, seine Aktivitäten auf bestimmte Regionen zu konzentrieren. Bei den meisten Winzern mit Selbstauslieferung sind schon regionale Schwerpunkte vorhanden. Es bietet sich an, diese weiter zu fokussieren und je nach verfügbarer Arbeitskapazität gezielt neue Regionen zu erschließen.

Ein wichtiges Instrument der Kommunikation könnte auch das Internet sein. Von der Homepage über Social Media bis hin zum Newsletter bietet das Netz viele Wege, das Weingut bekannt zu machen. Immer öfter werden auch Webshops eingerichtet, um jederzeit eine unkomplizierte Auftragsabwicklung zu gewährleisten. Viele professionelle Versandhäuser nutzen diese Chance bereits mit großem Erfolg.


Modelle für die Versandkostenpauschale

Es gibt viele Ansätze und Modelle für die Versandkostenpauschale. Hier lohnt es sich, in die Lieferkonditionen moderner Versandhändler wie Zalando und Amazon zu schauen. Auch der
Versandhandel mit Wein hat sich in den letzten Jahren gesteigert und ein Blick in die Lieferbedingungen könnte Anregungen liefern. Grundsätzlich gibt es bei der Staffelung von Versandpauschalen zwei Ansätze mit unterschiedlicher Zielsetzung. In beiden Ansätzen erfolgt eine Strukturierung nach Menge und/oder Wert.

Viele Winzer, die ihre Weine bereits verschicken, staffeln ihre Versandpauschale in 3 bis 5 Stufen, wie in Beispiel 1. Mit steigender Bestellmenge erhöhen sich stufenweise die Frachtkosten, bis sie ab einer bestimmten Liefermenge bzw. einem bestimmten Lieferwert erlassen werden. Je mehr Stufen dieses Modell enthält, desto genauer können die Kosten weitergegeben werden. Allerdings sind weniger Stufen übersichtlicher und besser nachvollziehbar für den Kunden. Die Modelle sind einfach verständlich und finden auch bei den großen Versandprofis Anwendung. Deshalb sind sie auch von einer breiten Masse der Kunden akzeptiert.

Ein weiteres Modell, was von vielen professionellen Versandhändlern angewandt wird, zeigt Beispiel 2. Hier ist die Versandpauschale bei kleiner Bestellmenge höher als bei großer. Bereits ab 36 Flaschen wird in Beispiel 2 frachtfrei geliefert. Dieses Beispiel könnte sich positiv auf das Einkaufsverhalten der Kunden auswirken, da es durch den höheren Versandpreis bei kleineren Bestellmengen Anreize enthält, die zum Einkauf größerer Mengen pro Auftrag anregen. Allerdings könnte der Einstiegspreis mit 11,90 € als zu hoch gesehen werden. Bei der Bestellung kleinerer Mengen könnte das abschrecken.

Eine weitere Idee, die bereits in vielen Weingütern verbreitet ist, wäre ein flaschenbezogener Rabatt für die Selbstabholung ab Hof. Dabei müssten die durchschnittlichen Versandkosten pro Flasche auf die Preise aufgerechnet sein. Selbstabholern wird ein Rabatt in Höhe der Versandkosten pro Flasche gewährt. Dadurch könnte der Absatz ab Hof gesteigert werden. Kunden, die weiter entfernt vom Weingut wohnen, könnten jedoch durch eine nötige Preiserhöhung abgeschreckt werden. Auch hier ist vorher eine reifliche Überlegung erforderlich.

Bei der Entwicklung einer stufengegliederten Versandpauschale sollten nicht nur die Kostendeckung, sondern auch die Perspektive des Kunden berücksichtigt werden.


Beispiel 1:
Bestellung bis 12 Flaschen
6,00 €
Bestellung bis 24 Flaschen
10,00 €
Bestellung bis 36 Flaschen
14,00 €
Bestellung bis 60 Flaschen
16,00 €
Bestellung von mehr als 60 Flaschen oder über 300,00 € Warenwert
frachtfrei
Beispiel 2:
Bestellung bis 12 Flaschen
11,90 €
Bestellung bis 36 Flaschen
6,90 €
Bestellung von mehr als 36 Flaschen
frachtfrei


Welche Kundenreaktionen sind zu erwarten?

Zu hohe Preise für den Versand bringen aus Kostensicht zwar Vorteile für den Betrieb, könnten allerdings beim Kunden abschreckende Wirkung zeigen. Dies hätte zur Folge, dass der Flaschenabsatz und gleichermaßen der Umsatz sinken. Es muss aus Gründen der Kundenzufriedenheit sehr sensibel mit dem Thema Versandkosten umgegangen werden, da falsches Handeln schwerwiegende Folgen nach sich ziehen können.


Fazit

Der Übergang von Selbstauslieferung mit dem eigenen Fahrzeug auf Speditions- und Paketversand bringt eine umfassende Neustrukturierung des Marketing-Mix mit sich.

Ein Vergleich der Distributionskosten, die Auswahl einer Spedition bzw. eines Paketdienstes, die Einführung von Versandpauschalen sowie die Information der Kunden über die neue Ausrichtung sind Themen, die im Rahmen des Übergangs geklärt werden müssen. Zusätzlich gilt es, die Marketingaktivitäten neu zu planen, um auch weiterhin die Kundenpflege mit dem intensiven, persönlichen Kontakt anzubieten und zusätzlich Neukunden zu gewinnen. Grundlage für einen erfolgreichen Übergang ist eine strukturierte Planung und ausreichend Vorlaufzeit. Trotz weiter örtlicher Entfernungen zwischen Winzer und Konsumenten wird die Nähe zum Kunden im Weinvertrieb auch zukünftig von großer Bedeutung sein. Welche Aktivitäten die Winzer zur Umsetzung einer erfolgreichen Vermarktungsstrategie einsetzen, ist sehr individuell und muss für jedes Weingut eigenständig entschieden werden.


Vor- und Nachteile des Übergangs im Überblick:

Pro
Contra
Spedition und Paketdienst
Keine risikoreichen AuslieferungstourenPersönlicher Kontakt zum Kunden geht verloren
Kostenersparnis Qualität des Lieferservices sinkt
(z.B. kein Abtragen der Kisten)
geringe Arbeitsbelastung beim Winzer Probleme können nicht direkt vor Ort geklärt werden (z. B. Korkschmecker)
Hohe räumliche FlexibilitätMüllproblem: kleine Paletten und Leergut
Schnelle ZustellungSendungsavisierung
Umweltschonende Auslieferung
Versicherter Transport
Kostenweitergabe in der Regel möglich
Spedition
Preisgünstigste Versandmethode (ab 60 Flaschen)keine Option für Kleinmengen
Ökonomisch interessante Auftragsgrößen
Kein „Umverpacken“ notwendig
Paketdienst
Kostengünstiger Versand von KleinmengenUmpacken in spezielle Versandkartonage
Viele Einzelaufträge

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